Der „Nalepa-Sound“ – Das Hörspiel im Rundfunk der DDR




Zum 100. Geburtstag des Hörspiels hat Günter Peters ein Buch mit dem Titel Hundert Jahre Hörspiel I Geschichte und Geschichten geschrieben. Hier ein Auszug aus Kapitel 9 Der „Nalepa-Sound“ I Das Hörspiel im Rundfunk der DDR", Seite 388:

Im Nachwort zu seiner Sammlung „Sechzehn deutsche Hörspiele“ (1962) schreibt Hansjörg Schmitthenner: „Vom Hörspiel in der Ostzone wissen wir noch wenig.“1 Er stellt fest, dass sich das Hörspiel auch in Ostdeutschland „zunehmender Beliebtheit und wachsender Förderung“ erfreue und „die theoretisch-ästhetische Diskussion über das Hörspiel“ dort ebenso im Gang sei „wie bei uns“. Noch lasse sich aber nicht entscheiden, „ob auch das Hörspiel in der Ostzone trotz der weltanschaulichen Richtlinien in unserem Sinne gültige Kunstwerke – ähnlich wie beim Theater und Film – hervorgebracht hat.“ – Umgekehrt polemisiert Wolfgang Rödel, Mitarbeiter am Staatlichen Komitee für Rundfunk der DDR, noch 1965 gegen „einige westdeutsche Praktiker und Theoretiker des Hörspiels, die allem, was in der DDR entstand, mit erstaunlich perfekter Ignoranz aus dem Wege gehen.“ Und unter Berufung auf Zitate aus Texten von Heinz Schwitzke behauptet er, dass sich „die bis heute in Westdeutschland wirkende Hörspielkonzeption“ auf das Leitthema von der Unveränderbarkeit der Welt gründe.2 Zum Glück müssen, so Rödel, DDR-Autoren ihre Hörer nicht, wie Günter Eich, auffordern, „Sand im Getriebe der Welt“ zu sein. Vielmehr bemessen sich Fortschrittlichkeit und Anspruch des DDR- Hörspiels, Kunst sein zu wollen, daran, wie gut ihre Autoren es gelernt haben, „daß es Öl sein mußte im Getriebe einer neuen Welt.“3 Schon deshalb sind, so Rödel, Hörspiele in der DDR immer zugleich anspruchsvoll und unterhaltsam.

Dagegen lasse der westdeutsche Rundfunk die Schere zwischen elitärliterarischen Hörspielexperimenten und unterhaltsamer Massenware bewußt immer weiter auseinanderklaffen.4 Schmitthenners und Rödels Blicke über die Grenze zeigen, wie sehr sich die deutschen Hörspiel-Welten in West und Ost entfremdet hatten. Dabei ging hier wie dort die Erneuerung einer Rundfunk-Kunst aus derselben Trümmerwelt hervor.

1 Sechzehn Deutsche Hörspiele. Auswahl u. Nachwort: Hansjörg Schmitthenner. München: Piper 1962, S. 496. I 2 Wolfgang Rödel, Nachwort, in: Hörspiele 5. Hrsg. vom Staatlichen Rundfunkkomitee der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Henschelverlag 1965, S. 285. 3 Rödel, Nachwort, S. 287. 4 Rödel, Nachwort, S. 292.

In Gerhard Rentzschs „Darf ich wieder zu Napoleon?“ (1985) hören wir Kurt Böwe als den auf St. Helena verbannten Kaiser in „Nachmittagsplaudereien“ mit der kleinen Engländerin Betsy, die er in sein Herz geschlossen hat – hier gesprochen von Böwes Tochter Winnie.

In Martin Stephans „Ich will nicht leise sterben“ (1976) spricht die legendäre Agnes Kraus als alternde Rotationsarbeiterin Klara in imaginären Szenen mit ihrer lange verstorbenen großen Liebe Erich.

Und dem Regisseur Fritz Göhler gelingt es in seiner Inszenierung von Goethes „Stella“ (1982) mit radiophonen Mitteln und der Musik von Ralf Hoyer, den märchenhaften mit dem tragischen Schluss des Schauspiels zu verbinden.

Hörbeispiel 12: Darf ich wieder zu Napoleon

Hörbeispiel 13: Ich will nicht leise sterben

Hörbeispiel 14: Goethes "Stella" - Schlussfassung