Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks
Hans Jürgen Börner, Journalist und noch bis kurz vor dem Mauerfall ARD-Korrespondent in der DDR, stellte am zweiten Juni '22 während eines Online-Gesprächs zum Thema "Journalistische Erfahrungen in Ostdeutschland vor und nach 1989/90" u. a. die Frage, wie es denn sein könne, dass die positiven und revolutionären Kräfte in der DDR aufgegeben haben. "Ich kann mir im Westen nicht so eine taffe Gesellschaft vorstellen, wie sie zum Ende der DDR war. Die schlichtweg Reformen verlangt hat und den Umsturz gemacht hat. Da ist mir auch nicht die Forschung noch längst nicht am Ende. Wie konnte es sein, dass versickerte - das nicht nur starke Pflänzchen, die starke DDR-Revolution versackte und versandet ist? Wenn mir da mal ein Professor ein Buch vorlegen würde, wäre ich sehr glücklich." *
Sylvia Dietls Buch „Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands | Akteure, Interessen, Prozesse“ könnte vielleicht so eines sein?
Bereits als Mitautorin des 1999 erschienenen Buches "Deutschland einig Rundfunkland?" erforschte Sylvia Dietl an der Universität Düsseldorf, wie zu Beginn der 90er Jahre das westdeutsche Rundfunksystem auf Ostdeutschland übertragen wurde. Ein Fazit ihres aktuellen Fachbuches ist, dass die Interessen des westdeutschen Rundfunks den Rahmen für die Transformation des DDR-Rundfunks setzten. Die Stimmen ostdeutscher Reformer dagegen untergingen. Dass das tatsächlich so war, können leider davon direkt betroffene Zeitzeug:innen bis heute bestätigen.
Die über 600 Buchseiten laden zum wiederholten Nachschlagen und Lesen ein. Und insbesondere den seinerzeit direkt Betroffenen und "Abgewickelten" kann dieses Fachbuch möglicherweise dabei helfen, sich noch mal neu aus einem Abstand von drei Jahrzehnten heraus zu erinnern, das eine oder andere besser zu verstehen oder neu einzuordnen. Denn in Zeiten von so komplexen Geschehnissen, die damals für Monate geradezu immer wieder den Atem neu stocken ließen, gab es nicht mal ansatzweise die Chancen für Besinnung oder Reflexion.
Eines der umstrittensten Kapitel der deutschen Wiedervereinigung ist die Umgestaltung des Staatsrundfunks der DDR und seine Integration in das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Bundesrepublik vom Herbst 1989 bis Ende 1991.
Vor dem Hintergrund des Systemwechsels erfolgten gleichzeitig die Überleitung und Auflösung des DDR-Hörfunks und -Fernsehens sowie die Konstituierung einer gesamtdeutschen Rundfunkordnung. Dieser komplexe Abwicklungs- und Neuordnungsprozess erforderte grundlegende Entscheidungen und medienpolitische Weichenstellungen. Unter Berücksichtigung der politischen und normativen Rahmenbedingungen analysiert die Autorin, wer die gestaltenden Akteure in Ost- und Westdeutschland waren, welche unterschiedlichen Handlungsmotive und Ziele sie verfolgten und welche Handlungsoptionen und Konflikte vorlagen. Die Arbeit legt offen, auf welche Weise die Transformation des Rundfunksystems vollzogen wurde und wie das strukturelle Ergebnis der Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland zustande kam."
Für erste Leseeindrücke sei ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Fachbuches "Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands" gestattet. Siehe auch Utzverlag I Siehe auch Interview mit Syliva Dietl: „Kritikloser Systemtransfer“: Wie die Öffentlich-Rechtlichen in den Osten kamen | Mady Tröger am 5.10.2022 in der Berliner Zeitung
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* 4. Veranstaltung der Reihe "Zeitzeugenperspektiven" | Quelle