Die Hörspielregisseurin Barbara Plensat
Barbara Plensat inszenierte seit Ende der 60er-Jahre Features und Hörspiele für den Rundfunk der DDR. Matthias Thalheim, 2019 Hörspielchef bei MDR Kultur, sprach seinerzeit mit ihr über mehr als fünf Jahrzehnte Hörspielerfahrung. Zum Gespräch auf der Website des MDR: Die Hörspielregisseurin Barbara Plensat
Die Hörspielregisseurin Barbara Plensat
Nach einer Gesprächsaufzeichnung vom 18.September 2019 für die Sendung am 25. November 2019 beim MDR KULTUR
Autorisiert und leicht bearbeitet für die Verschriftlichung von Barbara Plensat 2023
Bildunterschriften: Die Regisseurin Barbara Plensat (1977) zusammen mit den Schauspielern Karin Gregorek und Michael Gwisdek | Fotos: Plensat privat
Barbara Plensat: Hallo!
M. Thalheim: Mit Barbara Plensat ein Gespräch zu führen, bietet die seltene Gelegenheit, über mehr als fünf Jahrzehnte Erfahrungen in Hörspielstudios reden zu können. Denn sie inszenierte für den Rundfunk der DDR im Funkhaus in der Nalepastraße Features und Hörspiele bereits seit Ende der sechziger Jahre, einer Zeit, zu der bei ARD und Deutschlandfunk die Regie noch eine reine Männerdomäne war. Wir werden darauf zu sprechen kommen.
Mein Name ist Matthias Thalheim, Teamchef Künstlerisches Wort bei MDR Kultur. Und vorausschicken will ich, dass wir beide uns seit 40 Jahren aus gemeinsamer Arbeit kennen und dass es daher abwegig wäre, wenn wir uns dieses Interviews wegen zu einem „Sie“ zwingen müssten. Wir bitten also um Verständnis für diesen Du-Umgang.
Es war im vergangenen Jahrhundert, Anfang der achtziger Jahre, als ich als freier Regieassistent bei mehreren Deiner Hörspielproduktionen mitgewirkt habe, viel dabei hab lernen können, und was mir besonders auffiel, war Dein souveräner Umgang mit allen technischen Möglichkeiten des Studios, mit den Mikrofonen, beim Schnitt, beim Mischen.
Die Erklärung wurde mir damals schnell von den Kollegen der Studiotechnik dazu geliefert: Ehe Du als Regisseurin tätig wurdest, hattest Du eine Lehre als Studioassistentin der Studiotechnik Rundfunk gemacht. Wie muss man sich das vorstellen? Wann war das vor allen Dingen und wie war das? Denn dieser Technikbereich gehörte ja zur Deutschen Post.
B. Plensat: Ja, er gehörte zur Deutschen Post, und der Rundfunk mit seinen Sendern und Redaktionen war eben der Rundfunk, anfangs der „Deutsche Demokratische Rundfunk“. Im Funkhaus in der Nalepastraße gab es also zwei Firmen, die miteinander arbeiteten, Programm machten. Ich bin dahin gekommen 1957. Ich war vorher auf der Kinder- und Jugend-Sportschule, hatte Abitur gemacht und hatte im Gepäck die Empfehlung, Lehrerin zu werden. Und Trainerin. Die wurden damals dringend gebraucht. Aber das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich hatte mir immer vorgestellt einen Beruf, der sich zwischen Kunst und Technik bewegt. Und dann hörte ich von dieser Möglichkeit. Daß da eine Facharbeiterausbildung mit Abiturienten zum „Studioassistenten“ aufgebaut wird.
Lehrvertrag wurde noch von Mutti unterzeichnet, weil ich noch nicht volljährig war. Ja, das Ganze hat dann ein Jahr gedauert, fand statt im Funkhaus Grünau, in dem kleinen alten Funkhaus, sehr schön am Wasser gelegen, eine ehemalige Bootsvilla. Dort waren übrigens auch die Hörspielleute angesiedelt, die kannte ich dann alle schon... Eine interessante Ausbildung, weil: sie vereinigte in sich eine Fachausbildung zum Techniker, also Elektrotechnik, Sendetechnik, Akustik, sogar Dramaturgie! Und im praktischen Teil lernte man schneiden, cuttern, wie man damals sagte, Musik schneiden, Text schneiden, das „Fräulein von Scuderi“, den „Donauwellenwalzer“, der ist sauschwer zu schneiden... Und parallel dazu eine Metallhandwerker-Grundausbildung. Also man lernte anreißen, feilen, bohren, alles was man mit Metall machen kann, und das war natürlich, wenn man die Handwerkersituation in der DDR damals erinnert, sozusagen Gold wert. Hat mir großen Spaß gemacht. Später, in den Studios, hatte ich es vorrangig mit Wortaufnahmen zu tun, Karl-Eduard von Schnitzler, Kommentare usw., aber auch komplizierte Mischungen, Wort und Musik, kleine Szenen.
Und dann kamen die etwas höheren Weihen, die Sendetechnik, das war ja ein Sicherheitsbereich...
M. Thalheim: Also Live-Programm?
B. Plensat: ...ja, Live-Programm, damals noch mit 76er Tonband, wenn da etwas riß oder eine Klebestelle aufging hatte man zu tun wie ein Haftlmacher, die Sendung durfte ja nicht unterbrochen werden... Dann gab es spezielle Aufgabenbereiche, die vertraulich zu behandeln waren, eine Sendung in italienischer Sprache wurde aus einer Villa in Weißensee gefahren, eine russische Sendung aus dem Haus des Nationalrats in der Glinkastraße, dort saß ein „Komitee für Rückkehr in die Heimat“...
M. Thalheim: Da musstest Du russische Sprache schneiden!
B. Plensat: ...da musste ich russische Sprache aufnehmen, mischen und schneiden. Die Sendung ging um 5 Uhr morgens los, da war es ja in Moskau Ortszeit schon 7 Uhr. Ich wurde also früh um 4 mit einem uralten schwarzen BMW abgeholt, es fuhr ja noch keine Bahn, und dann war ich in diesem Haus des Nationalrats ganz alleine, ein riesenhaftes Gebäude direkt an der Grenze. Ich guckte also auf die schöne neue Philharmonie im Westen,
und dann fuhr ich diese russische Sendung.
Gegen 8 kamen die Redakteure, Russen, schrieben ihre neuen Texte, die haben wir aufgenommen, ohne irgendwie miteinander zu reden. Kühle Atmosphäre, ein bisschen Siegermentalität... Ja, irgendwann wurde ich dann Arbeitsgruppenleiter, machte Dienstpläne und saß nur noch am Schreibtisch. Und nach einiger Zeit sagte mein Chef zu mir, du müsstest jetzt mal darüber nachdenken, ob Du vielleicht studieren willst. Wir würden Dich zu einem Elektrotechnik- oder Akustikstudium delegieren, du könntest Toningenieur werden. Man brauchte damals so eine Delegierung. Und dann hab ich ein bisschen nachgedacht und hab gefunden, dass mir ein Technikstudium doch nicht so gefallen würde, und hab mich für Medizin beworben...
M. Thalheim: Hhm?
B. Plensat: ...ja! Aber weil ich nicht aus einem verwandten Beruf kam, wollten die mich nicht. Das hätte ich anders einfädeln müssen. Und dann bin ich sozusagen meinen Förderern begegnet. In den Aufnahmeräumen, wo Literatur produziert wurde, also Lyrik und Erzählungen... Da saß ich als Technikerin ja direkt neben dem Regisseur am Regietisch und habe erlebt, wie mit den Schauspielern gearbeitet wurde,
was die für eine Sprache hatten, was für eine Betrachtungsweise. Und hab begriffen, dass man das durchaus verstehen kann, was da so kryptisch als Gedicht auf dem Papier steht. Und ich hab auch gemerkt, dass ich mich auf mein Gefühl dabei verlassen kann. Das war eine schöne Entdeckung. Und langsam habe ich angefangen, mal ein bisschen mitzureden, vorsichtig zu kritisieren, sehr vorsichtig, bis die dann gesagt haben, die Herren Regisseure, na dann mach’s doch einfach mal selber! Und das war der Kristallisationskeim meines späteren Lebens.
M. Thalheim: Was waren das für Regisseure, wo Du da saßest?
B. Plensat: Das war eine kleine Gruppe, die vor allem Literatur für die verschiedenen Sender produziert hat. Dabei war Edgar Kaufmann. Mit dem hab ich später auch im Hörspiel gearbeitet und viel gelernt dabei. Und das war Horst Liepach, der später als Regisseur vor allem im Kinderhörspiel wunderbare Produktionen gemacht hat. Und Siegfried Wittlich, ein Spezialist für Lyrik. Alles hoch gebildete und sensible Kollegen. Und die haben dann dafür gesorgt, dass sich der Chefregisseur Wolfgang Schonendorf für mich interessierte, und wir haben uns unterhalten.
Er hat mir ein bisschen auf den Zahn gefühlt und dann hat er gesagt, wir probieren es einfach, wir machen mal ein halbes Probejahr. Ich hatte eigentlich überhaupt keine Ahnung, was mich da erwartete, und es war für mich ein großes Wagnis, weil: ich musste ja dann bei der Post kündigen.
M. Thalheim: Ich wollt grad sagen, du warst ja noch Post.
B. Plensat: ...und voll angestellt. Ich hab dort jedenfalls meinen Wunsch unterbreitet, und sie haben gesagt, überlegen Sie sich das gut. Sie gehen ein paar Dienstränge verlustig, Gehaltsstufen, mit uns können Sie nicht mehr rechnen, wenns schief geht! Aber ich wollte das unbedingt und hab mich in dieses Abenteuer gestürzt und ein halbes Jahr zur Probe Regieassistenz gemacht...
M. Thalheim: In welchem Jahr war das?
B. Plensat: Das war 1965. Wolfgang Schonendorf, der Chefregisseur hat mir einen Fragenkatalog vorgelegt, da stand zum Beispiel drin: „Definieren Sie den positiven Helden“, oder „Was ist Parteilichkeit in der Kunst“? Hatte ich alles nie gehört, aber ich hab das ernst genommen, hab mich in das Studium gestürzt und mich belesen, hab die Regisseure gefragt, was ist denn nun „Parteilichkeit“?
Die sagten „ach lass mich doch damit zufrieden!“. (lacht) Also ich hatte nach dem halben Jahr ungefähr die Hälfte der Fragen beantwortet, und wie ich sie ihm vorlege, dem Chefregisseur, sieht er mich bissel erschrocken an, um Gottes Willen, so war das ja gar nicht gemeint, wir wollten bloß mal zeigen, an welchen Themen und Schwerpunkten man so vorbeikommt in dem Beruf, den Sie hier ergreifen möchten... Na ja, ich bin dann nach dem halben Jahr hinübergewechselt, hab einen ordentlichen Vertrag bekommen und war Regieassistentin.
M. Thalheim: Konntest Du denn auf spezielle Hörspielerlebnisse zurückgreifen, die in Deiner eigenen Kindheit lagen? Hast Du irgend so eine magische Grunderfahrung mit Hörspiel gehabt, ehe Du in diesen Beruf gegangen bist?
B. Plensat: Ich erinnere mich an zwei, drei Dinge. Ich musste im Alter von zwei Jahren vor einem Mikrofon „Lieber guter Weihnachtsmann“ aufsagen, musste x-mal wiederholt werden, daher mein fitter Umgang mit dem Mikrofon... Wir hatten einen Nachbarn, der war Toningenieur beim Film. Das war was ganz Besonderes damals.
M. Thalheim: Oh, das war wirklich was Besonderes.
B. Plensat: Ich hab nie, leider nie gehört, was daraus
geworden ist, aus dieser Aufnahme, weil es war ja Krieg, und wir wurden nach Meißen evakuiert. Und das zweite Erweckungserlebnis war, als wir dann aus Meißen zurückkamen, nach dem Krieg, hatten wir einen kleinen Radioapparat, braunes Pertinax, x-mal geleimt, aber er spielte, und da habe ich gehört an mehreren Abenden den „Fliegenden Holländer“. Meine Mutter hat mir die Geschichte erzählt, die fand ich spannend, ich war so fünf, sechs Jahre alt. Ich habe mich gewundert, warum die singen und nicht sprechen, aber das hat mich irgendwie fasziniert. Und da bin ich wahrscheinlich der Kunst begegnet.
M. Thalheim: Wann bist Du wieder nach Berlin zurückgekommen?
B. Plensat: Das war noch 1945 gewesen sein, im offenen Waggon, mehrere Tage, meine Mutter mit meinem kleinen Bruder, der war in Meißen geboren, zwei Jahre alt, immer krank, ein Sorgenkind, ja, also ein ziemlich schwieriger Rückweg. Hunger gehabt, kalt gewesen, man konnte nicht schlafen... Und dann in Berlin durch die Trümmer und es gab keine Wohnung. Und dann bin ich eingeschult worden, im September noch. Keine Schultüte, kein Ranzen, keine Tafel. Und wahrscheinlich ein bisschen später als die Anderen.
Jedenfalls mußte ich mich vorstellen vor der Klasse, und hab gesagt, wer ich bin und woher ich komme, und da: brüllendes Gelächter. Ich wusste nicht, was passiert war, hab das auch nicht hinterfragt, hab mich geschämt... Ich sprach natürlich, was mir auch erst später aufgegangen ist, ein tierisches Sächsisch. Und das ist ja in Preußen immer ein „Erfolg“.
M. Thalheim: Deine Familie war sozusagen durchweg preußisch, also Berliner Herkunft?
B. Plensat: Preußisch, ja, die Eltern meines Vaters kamen aus dem Spreewald und irgendwann wahrscheinlich aus Litauen, worauf der Name Plensat hindeutet. Meine Mutter war aus Friedenau, aus dem Berliner Westen, „Bildungsbürgertum“, Künstlerhaushalt. Sie konnte mir z.B. beibringen, wie man das englische „th“ spricht. Hat mir in der Schule sehr geholfen. Und Klavier hat sie auch gespielt...
M. Thalheim: Ja, aber gehen wir mal zurück ins Funkhaus. Du bist damals in dieser Abteilung Regie Sender...
B. Plensat: ...ja, Chefregie. Da waren alle Regisseure und Assistenten zusammen, die tätig waren für die Literatur, das Feature, das Kinderhörspiel... und ich hab am Anfang nur Hörspiel gemacht.
Als Regieassistent. Irgendwann fing ich dann an, eigene kleine Arbeiten zu inszenieren, ein Feature mit zwei Sprechern oder mal ein Städtebild von Günter Kunert oder so etwas... Als Regieassistent hat man ja einen festen Arbeitsumfang, dazu gehört die Vorbereitung, der Aufnahmeplan, fast die gesamte technische Organisation, sich um Manuskripte kümmern, um Geräusche, natürlich auch Kaffeekochen, vor allen Dingen aber, im Studio die Schauspieler im Auge zu behalten, die Arbeitsatmosphäre... Und mich hat dabei besonders fasziniert, wie der Regisseur dann mit dem Schauspieler szenisch arbeitet, ihm erklärt, was er von ihm möchte, ohne ihn einzuengen, welche Gänge, was für Geräusche, welche Mikropositionen, Lautstärken, das Spiel mit dem Partner usw. und wie der Schauspieler das umsetzt. Wie viele Möglichkeiten es dabei gibt, das hab ich erst nach und nach begriffen...
M. Thalheim: Man muss vielleicht dazu auch noch erklären, dass das, vielleicht anders, als heute üblich, ein Drei-Schicht-Arbeiten war, weil die Studios waren sehr modern, ein von einem tollen Architekten Franz Ehrlich errichteter Studiokomplex, ästhetisch sehr angenehm, und sie wurden tatsächlich in drei Schichten genutzt.
Also es gab Aufnahmeschichten, gerade im Hörspiel, die begannen 22 Uhr und gingen bis früh um 4 Uhr. Das war im Hörspiel nichts Seltenes.
B. Plensat: Das war total normal, sodass ich eigentlich vom, weiß ich nicht, 25. Lebensjahr an im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet habe. Vorher ja schon, in der Technik, im Sendebetrieb. Hat mir aber nichts ausgemacht, ich war nachts um elf eigentlich erst in meiner richtigen Form.
M. Thalheim: Wer gehörte denn zu Deinen Lieblingsprotagonisten, nach den ersten Arbeiten, man versucht ja, sich dann Leute zu suchen, gerade unter den Darstellern, mit denen man schon mal gute Erfahrungen gemacht hat, wo man weiß, die helfen einem vielleicht auch oder lassen einen nicht auflaufen.
Bl. Plensat: Die Grunderfahrung ist, dass einen wirklich gute Schauspieler nie auflaufen lassen, sondern nur die, die selbst nicht recht Bescheid wissen, nicht gut vorbereitet sind, sich ganz auf den Regisseur verlassen, dass der ihnen hilft. Und wenn der Regisseur dann vielleicht jung und noch unsicher ist, oder sucht, dann kann er Probleme kriegen, auch Loyalitätsprobleme. Hatte ich zum Glück ganz selten.
Ja, mit wem habe ich gearbeitet? Inge Keller, Kurt Böwe, Otto Mellies, Dieter Mann...
M. Thalheim: Das wär ja sozusagen schon gleich die oberste Garde.
B. Plensat: Ja, und da gab es natürlich auch keine Probleme. Christine Schorn, Jutta Hoffmann, Jürgen Holtz natürlich, mit dem hab ich sehr viel gearbeitet, schwieriger Schauspieler, der will erobert werden, wollte...! Ja, also man lernt von den guten Leuten wirklich am allermeisten. Aber ich habe mir später auch immer ganz junge Schauspieler gesucht. Michael Gwisdek oder Dagmar Manzel haben ihre ersten Hörspielrollen bei mir gespielt...
M. Thalheim: Und wo die Sache ja vielleicht noch ein bisschen komplexer ist und wo es auch viel um Vertrauen geht: für das DDR-Hörspiel wurden ja viele Originalkompositionen beauftragt, wurden Komponisten eingebunden... Was waren so Deine Komponisten, denen Du Dich am besten verständlich machen konntest oder wo Du auch vom Ergebnis her sozusagen die besten Erfahrungen gemacht hast?
B. Plensat: Ich hab sehr gut mit Reiner Bredemeyer gearbeitet. Ich hab sehr gut mit Hermann Keller gearbeitet, der sehr speziell war, der machte Musik
mit präpariertem Klavier, das war nicht jedermanns Sache. John Cage war in der DDR keine bekannte Größe. Friedrich Goldmann, ich glaube, die erste Arbeit, die er im Hörspiel gemacht hat, war bei mir. Georg Katzer, Lutz Gladien, sein Schüler... Also ich hab insgesamt mit so ungefähr 30 verschiedenen Komponisten gearbeitet in der DDR, Leute, die Spitze waren. Das war ein Privileg, das man hatte, wenn man in der Hörspielabteilung war und mit Musik arbeiten wollte. Die Hörspielabteilung hat sich als das „Flaggschiff“ der Funkdramatik begriffen, und das hieß, wenn man die Spitzenleute an Schauspielern oder an Komponisten verlangt hat, dann wurde das auch ermöglicht... Anfang der siebziger Jahre, wenn ich mich richtig erinnere, wurde die Chefregie aufgelöst, und die Regisseure aufgeteilt auf die einzelnen Abteilungen, das Kinderhörspiel, das Feature, unterhaltende Sendereihen..., denen wurden jeweils feste Regisseure zugewiesen. Ich kam zum Abendhörspiel und hab mich mächtig aufgeregt, weil ich vorher nicht gefragt worden bin...
M. Thalheim: Ach so?
B. Plensat: Ja, ja, ich hab protestiert und dann hinterher erst begriffen, dass ich das große Los
gezogen hatte, in diese Hörspielabteilung zu kommen. Ich war als Regisseurin lange, lange die einzige Frau in dieser Abteilung. Es gab noch acht weitere Regisseurinnen, für Literatur, Feature, Kinderhörspiel ... aber keine von ihnen machte regelmäßig Hörspiel...
M. Thalheim: Und ein Vorteil war ja wahrscheinlich auch, dass man bei bestimmten Stücken sehr früh in die Stückentstehung einbezogen war?
B. Plensat: Ja, das war wirklich etwas Spezielles und bis heute, glaube ich, unerreicht: dass die Hörspielabteilung sich als „Entwicklungsdramaturgie“ begriff. Das hieß, der Dramaturg war eben kein Redakteur, der ein fertiges Stück annimmt, oder nicht annimmt, wie heute, sondern einer, der mit dem Autor ein Stück erarbeitete, manchmal ein Thema vorgab, oder einen Stoff hatte, für den er einen Autor suchte. Und in diese Stückentwicklung war man als Regisseur sehr früh einbezogen. Und das war Klasse. Das war einfach richtig gut, weil: man lernte die Autoren kennen, ihre Absichten, den Stil. Man konnte ganz lange über Schauspieler nachdenken...
M. Thalheim: Ich versuch jetzt gleich mal direkt zuzusteuern auf sicherlich einen Höhepunkt in Deiner Laufbahn, nämlich eine Produktion, an der Du beteiligt warst, „Die Grünstein-Variante“.
In der Mitte der siebziger Jahre war die DDR dann Mitglied internationaler Rundfunk-Organisationen und nahm teil am internationalen Medienwettbewerb Prix Italia. Und diese Produktion, „Die Grünstein-Variante“ von Wolfgang Kohlhaase, wurde dahin geschickt und hat den „Prix Italia“ bekommen. Zum ersten und einzigen Male hat die DDR da diese große internationale Auszeichnung erhalten im Hörspiel. Die Produktion selber hat ja eine eigene Geschichte, es gab zwei Versionen. Vielleicht kann man es hier auch für die Geschichtsschreibung aus Deinem berufenen Munde noch mal festhalten, wie es dazu kam.
B. Plensat:Das ganze ist kein Sensationsfall! Das Hauptaugenmerk in der Fassung eins galt der Besetzung. Ein Jude, ein Grieche, ein deutscher Seemann, das alter Ego von Ludwig Turek, nach dessen Erlebnissen Kohlhaase das Buch geschrieben hat. Es ließ sich kein adäquater Schauspieler für den Juden Grünstein finden. Keiner, der sich mit dem Jiddischen auskannte. Ein übrigens öfter aufgetretenes Problem. So kamen wir auf Kurt Böwe, vom Typ kein Grünstein, aber er beherrschte quasi alle Weltsprachen, ohne sie wirklich zu sprechen. Er hatte gerade einen polnischen Filmsynchronisiert,
in dem er einen Rabbi hinreißend einsprach. Er schien also prädestiniert für die Rolle. Daß er dann im Studio outrierte, also stark überzeichnete, fiel auf, aber es war das Gleiche, wie im Film. Nur man bemerkte es nicht so, weil dort das authenische Bild stärker war. Den Seemann Lodek gab Rolf Ludwig, auch er ein Filou wie Turek, aber leichter an Gewicht und nicht aus dem selben Sprachraum kommend. Der Grieche von Horst Hiemer war natürlich auch kein Grieche, “Wasser-Polakisch” nach eigener Auskunft, aber er sprach das von Kohlhaase notierte Kochbuch-Deutsch höchst überzeugend. So wurden die Sprachprobleme “künstlerisch” gelöst, eine Verabredung mit dem Hörer, wie denn auch sonst ?! Für die Musik hatte ich Tilo Medek vorgeschlagen, einen jungen Komponisten, mit dem ich schon gearbeitet hatte. Daß er zu dieser Zeit bereits einen Ausreiseantrag gestellt hatte, erfuhr ich nebenbei, es dürfte dem Amte aber bekannt gewesen sein, und es gab keine Einwände, mit ihm zu arbeiten. Auch nicht, nachdem er die Biermann-Petition unterzeichnet hatte, wie übrigens Ludwig und Hiemer auch. Daß Günter Rücker, der ja der erste Regisseur war, mit Medeks Musik wenig anfangen konnte, trat nicht im Studio zutage sondern est beim Abhören.
Rücker tat sich mit moderner Musik schwer, er wußte das auch, es war vielleicht eine Generationenfrage. Und sicher auch ein allgemeineres Problem. Regisseure suchten sich Komponisten ihres Alters und Geschmacks, und z.B. Dramaturgen, oder auch Autoren, die an diesen Prozeß nicht angeschlossen waren, auch nie zu Musikaufnahmen im Studio erschienen, waren dann ausschließlich auf ihr Geschmacksurteil verwiesen. Wie auch immer, beim Abhören gab es keine laute Kritik, aber leise Zweifel. Die Produktion wurde gesendet am 25.12.1976 auf Stimme der DDR um 17 uhr.
Im Januar 1977 trat der PRIX ITALIA ins Bild. Und mit ihm die Frage: was schicken wir hin? Das Stück war schnell ermittelt, “Grünstein”, und mit diesem hohen Anspruch war die Chance zu einer Neuproduktion gegeben. Das war zwar ein seltener Fall, aber nicht undenkbar, es kam gelegentlich vor (später bei Fühmanns “Die Schatten” oder Peiffers “Paris, noch einmal”), und war auch finanziell kein Drama, wenn ein gewisser Rahmen nicht überschritten wurde. Und natürlich mußte es künstlerisch zu rechtfertigen sein. All das traf hier zusammen, und es bedurfte keiner Tricks oder hochrangiger Einflußnahme, um durchgesetzt zu werden.
Der Text wurde etwas gestrafft, eine Rolle fiel weg und die Besetzung wurde neu gedacht. So sollte nun Kurt Böwe den Lodek spielen, auf den er wirklich ausgezeichnet paßte. Damit fiel Rolf Ludwig weg. Hiemer als Grieche paßte und blieb. Für Grünstein suchten wir weiter, machten neue Besetzungsproben, kontaktierten sogar das Jüdische Theater in Warschau, ohne Erfolg, und entschieden uns schließlich für den eher unscheinbaren Schauspieler Wolfgang Greese. Eigentlich keine Titelfigur, aber das steigert, sagten wir uns, die Überraschung, wenn er dann im Schach gewinnt gegen Lodek. Und sogar eine neue Variante ersinnt. Ein Sieger der leisen Art. Auch wenn es schwerfällt, sich Greese beim Ochsenschlachten vorzustellen – man mache sich über das Ritual sachkundig!
Neu produzieren bedeutete auch, neu über die Musik nachzudenken. Sie hatte keinen Anklang gefunden, wurde nicht verstanden, ein Fall, wie er tausendfach vorkommt und für jeden Künstler schmerzlich ist, aber überhaupt kein Qualitätsurteil an sich darstellt. Die Trennung vom Komponisten Medek geschah also allein aus künstlerischen Gründen. Sein Versuch, diesen Vorgang politisch zu instrumentalisieren,
er hatte die DDR bereits verlassen, ist einfach falsch!
Rücker war im Urlaub eine Melodie begegnet, die er für geeignet hielt. Eine Art Städl-Musik, volkstümlich und schlicht, und darüber ein Trompeten-motiv, das wie eine Art feierliche Würdigung wirkt. Wir haben sie im März 1977 mit dem Komponisten Wolfgang Bayer aufgenommen, und das Hörspiel in der Fassung zwei am 8. Mai auf Radio DDR 1 urgesendet.
Sie wurde im September zum PRIX ITALIA geschickt, der in diesem Jahr in Venedig stattfand, im Palazzo Labia, vom 12. Bis 26. September. Es lief am letzten Tag und gewann. “Für hervorragende Gesamt-Qualität”. Es hatte sich durchgesetzt sogar gegen Mauricio Kagels beeindruckende “Umkehrung Amarikas”. Peter Gugisch nahm den Preis entgegen, 15.000 sfr., die von der Staatsbank der DDR einvernommen, umgetauscht und verteilt wurden, gegen das Reglement. Wir wurden berühmt im Funkhaus, wir, die immer etwas belächelten Künstler aus der Hörspielabteilung. Der Intendant Rudi Singer begriff plötzlich, daß mit Kunst internationale Anerkennung zu gewinnen war. Wir wurden gefeiert und seitdem gegrüßt. Und ich, ja, ich war vorher in Finnland gewesen und hatte dort ein Stück von Günter Rücker inszeniert,
„Lisa“, die Geschichte einer weiblichen Emanzipation. In Finnisch. Und in Finnland ist mir „die große weite Welt“ begegnet. Ich erlebte, wie schwierig diese Leute es haben, Finnland war damals noch ein Armenhaus... Ich hab immer die schönen, blonden, schlanken finnischen Menschen bewundert, aber die hatten einfach kein Geld. Drei Jobs, aber kein Geld. Und wenn sie krank waren, dann haben sie warmes Wasser getrunken, weil sie kein Geld für Medikamente hatten... Also für mich war das ein Kulturschock, aber ein sehr heilsamer. Als ich zurück kam, hatte ich einen richtigen Blues. Und erfuhr dann, daß wir gewonnen hatten in Italien...
M. Thalheim: Du hast außer in Finnland noch anderswo als Gastregisseurin gearbeitet?
B. Plensat: Ja, ich hab noch zweimal woanders inszeniert, in Prag und in Athen. Und natürlich immer in den Landessprachen, also in Finnisch, in Tschechisch, in Griechisch. Die anfängliche Idee, die Sprache rasch noch zu lernen, vorher, habe ich ebenso rasch wieder aufgegeben und dann nur noch nach dem deutschen Textbuch gearbeitet, dort. Das geht, solange man sich im mitteleuropäischen Kulturraum befindet, da ist der Ausdruck von Freude und Schmerz... ähnlich.
Man muß freilich sehr aufmerksam auf die nationalen Besonderheiten achten, und einen guten Dolmetscher braucht man auch... ach, ein weites Feld... nein, es war alles sehr schön, es war immens anstrengend, aber es hat meinen Blick ungeheuer geweitet (lacht).
M. Thalheim: Und als die Welt dann noch viel größer wurde mit dem Ende der DDR, dem Fall der Mauer und eigentlich auch dem Zusammenbruch des DDR-Rundfunks, aber Du zu den wenigen Regisseuren gehörtest, die eigentlich, wenn man es jetzt mal summiert, in der Zeit nach der Wende, obwohl Du beim Rundfunk der DDR wirklich sehr, sehr viele, sicher 150 Hörspiele gemacht hast, dass Du nach der Wende eigentlich mindestens genauso viel produziert hast bei der ARD, beim Deutschlandfunk. Und da ist es schon interessant, Deine Erfahrungen zu hören, wie anders das Regiedasein sozusagen war im Verhältnis zu dieser festangestellten Situation beim DDR-Rundfunk.
B. Plensat: Ich hatte die Maueröffnung in der Akademie der Künste – Westberlin erlebt, es waren Hörspieltage und es lief ein Stück von mir, „Lichtwechsel“ von Kerstin Leitmeyer, wie übrigens öfter auf internationalen Veranstaltungen...
z.B. dem „Prix Futura“. Man kannte also meinen Namen, und nach der Wende habe ich erstmal sehr viele Angebote bekommen. Ich war tatsächlich in einer sehr privilegierten Situation. Hab mich mit vielen Leuten unterhalten, sie kamen auf mich zu. Machten Angebote. Das heißt, ich konnte wählen. Ungewohnt. Wunderbar! Und hab als Erstes beim Saarländischen Rundfunk ein Stück inszeniert, das gerade einen Preis bekommen hatte, „Der König und seine Schwester“, ein Monolog mit Renan Demirkan. Ich hab mich erst mal hingesetzt und hab mit der Schauspielerin den Text geändert, und Robert Karge, der Hörspielchef dort, stand staunend dabei und hat es gestattet. Mir fiel auf, daß niemand irgend etwas erklärte, man war neugierig auf einander aber zurückhaltend und sehr tolerant. Ich bin am Anfang viel geflogen, nach Saarbrücken wegen einer Besetzung, nach Frankfurt am Main für ein Kindercasting, das waren ja alles ziemlich aufwendige Dinge, aber möglich. Ein bisschen auf Befremden bin ich gestoßen, weil ich immer mit den Autoren reden wollte, ich kannte die ja alle nicht. Ich bekam einen Text in die Hand, den hat irgendwer geschrieben, kann ich mal mit dem oder der reden? -Wieso??! Später war das kein Problem mehr.
Ja, es war vieles ganz anders auf dem freien Markt, unsicher, allein die Honorarsachen... Aber das mußte man sich alleine erobern. Und vieles war auch gleich: ein Studio war ein Studio und ein Mikro war ein Mikro. Und die Anfänge des Digitalen hatte ich schon in der Nalepastraße erlebt und mir statt einer neuen Schreibmaschine einen Computer gekauft. Worauf man sich immer verlassen konnte, überall, das waren die Besetzungsbüros, fast immer Frauen, die wie an den Theatern für ihren Job brannten und alles wussten. Wenn man sich mit ihnen gut verstand, dann war alles möglich... Die Schauspieler waren anders. Sie spielten. Sie spielten gut vorbereitet sein. Sie spielten große Bereitschaft, großes Verstehen, und sie boten erstmal perfekte Oberflächen an. Sie widersprachen fast nie... Sie waren Ermöglicher... Die gelegentlich versuchten herauszufinden, was eigentlich im Stück steht... Aber irrtiert, wenn man ihnen zuviel erklärte, soziale Hintergründe, Historisches, all das, was ein DDR-Schauspieler unabdingbar für notwendig hielt, um eine Rolle zu gestalten. Wenn Ost- und Westschauspieler sich bei einer Produktion begegneten, und das kam anfangs in der Nalepastraße vor, war es eigentümlich still.
Beitrag von Matthias Thalheim| Realisation: Elisabeth Heller
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