Musikredakteur:innen im DDR-Rundfunk




Jahrzehnte alte Beiträge aus der DDR-Rundfunkzeitung des letzten Jahrhunderts (Privatarchiv) beschreiben beispielsweise - wenn auch immer nur ausschnittsweise - die allumfängliche Arbeit von einigen wenigen Musikredakteur:innen damals bei Radio DDR 1. In drei sehr ausführlichen Gesprächen kommen drei weitere Musikredakteur:innen ganz direkt zu Wort. Wolfgang Martin, der bei "Stimme der DDR" und "DT64" agierte und Autor des Buches "Wie die Westmusik ins Ostradio kam" ist sowie Elisabeth Heller und Siegfried Jordan, die beide in der Musikredaktion von "Radio DDR I" arbeiteten:

In den 1970er-Jahren spielten auch Pop-Sounds aus den sozialistischen „Bruderländern“ bzw. sozialistischen Ausland eine Rolle im DDR-Rundfunk und bei der Plattenfirma AMIGA. Viele Titel wurden meist mit deutschen Texten versehen – ein Aspekt, der heute fast vergessen ist. Einen Einblick dazu bietet die mehrmediale Runde „Power von der Eastside!: Beat(s) aus Bruderland oder Wie der Ostblock-Pop ins Ostradio kam“ I Video, ca. 2 Stunden. Ergänzend dazu eine Übersicht über die damaligen Sampler und Importe im Internetarchiv sowie drei HörTipps bei Spotify:

„Fiktiver Report über ein amerikanisches Popfestival“ ist ein ungarisches Musical von Gábor Presser und Anna Adamis nach einer Erzählung von Tibor Déry. Obwohl die Handlung in Montana spielt, bezieht sie sich auf das Altamont Free Concert 1969 in Kalifornien, bei dem der junge Afroamerikaner Meredith Hunter von Mitgliedern der Hell’s Angels getötet wurde. Im Mittelpunkt steht ein ungarisches Ehepaar im Exil; die Geschichte zieht Parallelen zwischen der unter Drogen stehenden Festival-Menge, den Hell’s Angels und den Schrecken von Holocaust und Pfeilkreuzler-Regime. In der DDR war dieses Stück Anfang der 1970er-Jahre auf mehreren Bühnen zu sehen – etwa auch im Erfurter Theater. Für Jugendliche war die Mischung aus Rockmusik und Theaterszenen damals etwas völlig Neues, weil sie Popfestival-Atmosphäre in einer künstlerischen Form erlebten, die zugleich gesellschaftskritisch gedeutet war. (Wiki-Eintrag)

Musikredakteur:innen von Radio DDR I agierten beispielsweise in ihrer Redaktion vor ihren hölzernen Karteikästen. Zu sehen sind private Aufnahmen von und mit ehemaligen Kolleg:innen in zwei Redaktionsräumen in den sogenannten Musikbaracken, die vor Jahrzehnten abgerissen wurden. Sie befanden sich gegenüber vom Block E-T, den Sendestudios vom DDR-Rundfunk.

Foto: © Elisabeth Heller | Zeitzeugenarchiv

In jedem Karteikasten - siehe Fotos anbei - befanden sich unzählige kleine Kärtchen - versehen mit Angaben zu jeweils einem einzigen Musiktitel. Es waren Angaben, die heutzutage ganz selbstverständlich im Netz abgerufen werden könnten und bei Streaming Anbietern dann auch noch rund um die Uhr hörbar wären. Seinerzeit aber gab es noch kein Internet! Geschweige denn eine Vorstellung davon.

Im analogen Zeitalter begaben sich Musikredakteur:innen mit besagten kleinen Kärtchen erst mal auf den Weg ins so genannte "Schall bzw. Bandarchiv" (Block A im Erdgeschoss). Dort suchten sie zusammen mit den Frauen nach Angaben auf den Kärtchen die jeweiligen Bandkartons heraus. In jedem solcher Kartons befand sich ein einziges Magnettonband mit einem darauf produziert-abgespeicherten Musiktitel. Noch vor Ort im "Schallarchiv" konnten die Musikredakteur:innen an Bandmaschinen in die jeweiligen Musiktitel reinhören. Und das so oft, bis die Musik dann auch im eigenen Kopf ausreichend "abgespeichert" war.

Mit dem erweiterten musikalischen Gedächtnis ging es zurück an den Redaktionsschreibtisch zum "Karten-Legen". Oder anders ausgedrückt: dahin, wo Musiksendungen mithilfe der kleinen Kärtchen "programmiert" werden sollten.

Am Schreibtisch fertig gestaltete und aufeinander gestapelte "Karten-Musikprogramme" (erlaubt waren 40 % West- und 60 % Ost-Musiktitel) wurden von Sekretärinnen mit ihren Schreibmaschinen auf fünf Papierseiten gebracht (mithilfe von schwarzem Pauspapier). Solche Papierdurchschläge waren gedacht "zum Abzeichnen" für diejenigen, die entschieden, ob eine Sendung mit der ausgewählten Musik so überhaupt laufen durfte oder nicht.

Die Gestaltung von musikalisch-literarischenFeuilletons war vor allem mit der Herausforderung verbunden, jedes Musikgenre in die Sendung mit einzubringen und die Musikstücke stimmig-hörbar miteinander zu verbinden. Hier ein ganz kleines Beispiel von musikalischen Überleitungen vom Folk-Titel (Lied-Ende "Dat du min Leevsten büst" ) hin zu einem Klassiktitel (Anfang vom "Menuett in A "von Boccherini) und dann vom Ende des Klassiktitels die weitere Überleitung hin zum Schlager (Lied-Anfang "Eine Liebe ...") ... || Quelle der musikalischen Collage sind die jeweiligen Audios von YouTube-Videos, die geteilt werden dürfen:


Flick Flack | Kultur über Kopf
... so der Titel einer Sendereihe für junge Leute bei ARTE.tv mit mehrminütigen Filmbeiträgen aus ganz Europa. Von Ende März 2019 an war in der ARTE.tv-Mediathek ein Video zu sehen, für dessen Produktion Hélène Bigot und Sébastien Bergé extra nach Berlin reisten, um dort zusammen mit der ehemaligen DDR-Musikredakteurin Elisabeth Heller noch vorhandene und betretbare Räumlichkeiten im denkmalgeschützten Part des Funkhauses zu erkunden.



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